Das Interview mit Gosho Aoyama & Eiichiro Oda (Teil 1)

Gosho Aoyama und Eiichiro Oda im Interview! ConanNews.org präsentiert die deutsche Übersetzung von Detektiv Conan Übersetzer Josef Shanel.

Teil 1 des großen Interviews OVER 100 Miracle Talk zwischen Gosho Aoyama und Eiichiro Oda erschien gemeinsam mit One Piece Kapitel 1054 am 25. Juli in der Weekly Shōnen Jump. ConanNews.org engagierte exklusiv niemand Geringeres als Josef Shanel! Von Anfang an ist er seit 2001 für Egmont Manga der Übersetzer des Detektiv Conan Manga. Gosho Aoyama × Eiichiro Oda! Detektiv Conan × One Piece! Viel Spaß mit dem Crossover-Interview!

OVER 100 Miracle Talk Interview: Gosho Aoyama × Eiichiro Oda

Letztes Jahr haben „ONE PIECE“ und „Detektiv Conan“ jeweils die magische Grenze von 100 Bänden erreicht. Seit etlichen Jahren sind beide Autoren in der vordersten Reihe der Manga-Landschaft zu finden, und endlich kommt es zum Interview des Jahrhunderts!

In einem früheren Interview hat Gōshō Aoyama Interesse an einem gemeinsamen Interview mit Eiichirō Oda bekundet. Da beide fast gleichzeitig den 100. Band ihrer Serien herausbringen, stelle er sich so eine Unterredung höchst spannend vor. Und Oda schrieb als Schlusswort in der „Weekly Shōnen Jump“, dass er Aoyama zwar nie begegnet sei, ihn aber als „Waffenbruder“ ansehe. „Ich weiß genau, was für Opfer nötig sind, um es auf stolze 100 Bände zu bringen. Also herzlichen Glückwunsch zum 100. Band von Detektiv Conan, Gōshō Aoyama!“ Und nun ist es so weit: Willkommen zum historischen Interview!

Aoyama: Da Sie bekanntermaßen Ihr Gesicht nicht in der Öffentlichkeit zeigen, empfinde ich es als große Ehre, Ihnen jetzt von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. (lacht)

Oda: Ihr Gesicht ist mir natürlich ein Begriff, man sieht Sie ja bei diversen Gelegenheiten. Dennoch ist diese direkte Begegnung jetzt etwas ganz Besonderes. Ich hätte nicht gedacht, dass ich Sie eines Tages tatsächlich persönlich treffe.

Aoyama: Geht mir auch so! (lacht) Und wer kann schon sagen, ob wir uns hiernach jemals wiedersehen …

Oda: Vorhin hat mir der Chefredakteur des „Weekly Shōnen Sunday“ seine Visitenkarte gegeben. Das mag banal klingen, aber ich war richtig ergriffen. „Wow! Die Visitenkarte vom Sunday-Chefredakteur! Wie geil ist das denn?!“ (lacht)

Wir haben nach Gemeinsamkeiten gesucht und eine gefunden: Sie sind 1975 geboren, Herr Oda, und Sie 1963, Herr Aoyama. Also im Jahr des Hasen.

Aoyama: Stimmt! Und kennen Sie die Legende des Jahres des Hasen? Tetsuya Chiba wurde 1939 und Mitsuru Adachi 1951 geboren. Beides ebenfalls Jahre des Hasen. Ich wurde 12 Jahre nach Mitsuru Adachi und Oda 12 Jahre nach mir geboren. Einen weiteren Mangaka in dieser Reihe gibt es noch nicht.

Oda: Ich fände es super, wenn Akira Toriyama sich da noch irgendwie einreihen würde, aber er ist leider nicht im Jahr des Hasen geboren … (lacht) Aber um ehrlich zu sein, kenne ich mich seit jeher eigentlich nur mit dem „Weekly Shōnen Jump“ aus. Haben Sie vielleicht mehr Plan von den anderen Zeitschriften als ich, Aoyama?

Aoyama: Nicht wirklich. Zu Beginn meiner Karriere versuchte ich mein Glück beim „Weekly Shōnen Magazine“, stieß dort aber sehr bald an meine Grenzen. Mir wurde gesagt, dass mein Zeichenstil nicht zum Magazin passe, also zog ich weiter zum „Weekly Shōnen Sunday“. Dort fand ich eine Heimat und das ist bis heute so geblieben.

Oda: Sie gaben 1986 Ihr Debüt, nicht wahr? Welche Mangas waren vor Ihrem Debüt angesagt?

Aoyama: Ich war mit dem Magazine aufgewachsen, das Jump habe ich nur selten gelesen. Ich liebte zum Beispiel Makoto Kobayashis Wrestling-Serie „1, 2 no Sanchirō“ und „Ore wa Teppei“ von Tetsuya Chiba! Und im Sunday war ich verrückt nach Mitsuru Adachis „Touch“.

Oda: „Touch“ habe ich auch gelesen! Genauso wie „Rough“, auch von Mitsuru Adachi.

Aoyama: „Urusei Yatsura“ von Rumiko Takahashi war auch ein Renner. Der Anime war Pflichtprogramm.

Oda: Nach Ihrem Debüt kamen erst mal „Kaito Kid“, „YAIBA“ und „Yoban Sādo“ – „Detektiv Conan“ war dann Ihre vierte Serie.

Aoyama: Sie sagen es. Kann es sein, dass „ONE PIECE“ Ihre bisher einzige Serie ist, Oda?

Oda: Erwischt! Ich bin eben ein One-Hit-Wonder!

Aoyama: Sie machen mir Spaß! Ihr „einziger Hit“ ist dafür aber der größte Hit von allen! (lacht)

Oda: Welche Serien erschienen noch zu der Zeit im Sunday, als „Detektiv Conan“ seinen Anfang nahm?

Aoyama: Jede Menge echte Schwergewichte! „Ranma ½“ von Rumiko Takahashi, „Ushio & Tora“ von Kazuhiro Fujita, „H2“ von Mitsuru Adachi, „Kyō Kara Ore Wa!!“ von Hiroyuki Nishimori … ein Line-up, das sich gewaschen hat!

Oda: „Ranma ½“ habe ich auch gelesen! Das war klasse. Schon unglaublich, welchen Unterschied das Magazin der Wahl macht. Selbst wenn man in derselben Ära gelebt hat, hat man doch völlig andere Meisterwerke gelesen. Als „Detektiv Conan“ rauskam, waren im Jump „Dragon Ball“ von Akira Toriyama und „SLAM DUNK“ von Takehiko Inoue die großen Zugpferde.

Aoyama: „Dragon Ball“ habe ich natürlich auch gelesen! Ich war ein Fan von Toriyamas Zeichenstil.

Oda: Ich war ja immer Team Jump und wollte Sie unbedingt fragen, wie Sie das Jump damals wahrgenommen haben, wenn ich Sie treffe. Zu der Zeit verkaufte sich das Jump ja von allen Magazinen mit Abstand am besten. Aber später zog das „Weekly Shōnen Magazine“ am Jump vorbei und es entbrannte ein heftiger Konkurrenzkampf.

Aoyama: Ich muss gestehen, dass ich dieser Rivalität nie Beachtung geschenkt habe. Tut mir leid, Sie zu enttäuschen. (lacht)

Oda: Sprich, Sie haben dem Jump keine Beachtung geschenkt?! (lacht)

Die Leser wüssten sicher gern, welche Erinnerungen Sie mit dem Beginn Ihrer historischen Serien verbinden. Welche Umstände begleiteten die Veröffentlichungen Ihrer jeweils ersten Kapitel?

Oda: „ONE PIECE“ kam im Jahr 1997 raus, und 1995, also zwei Jahre zuvor, war „Dragon Ball“ zu Ende gegangen. Damals ging ein echter Ruck durch die Nachwuchs-Manga-Szene. Alle wollten den Slot von „Dragon Ball“ haben und es entbrannte ein heftiger Kampf um die Erbfolge. In den nächsten zwei Jahren gelang es niemandem so recht, die große Lücke im Jump erfolgreich auszufüllen – denn seien wir mal ehrlich, was konnte sich schon mit „Dragon Ball“ messen? – bis schließlich ich mit „ONE PIECE“ überlebte.

Aoyama: Klingt ja episch! (lacht)

Oda: Damals gingen „Dragon Ball“ und „SLAM DUNK“ nacheinander zu Ende, was die kommerzielle Zukunft des Jump ungewiss erscheinen ließ. Ausgerechnet das Cover der Ausgabe mit meinem ersten Kapitel wurde dann groß und breit in der Zeitung abgedruckt, und neben dem Bild von „ONE PIECE“ stand dann reißerisch „Jump wird vom Magazine überholt“. Ehrlich, mich traf doch keine Schuld daran! (lacht) Ich erinnere mich noch genau, wie traurig mich das damals gemacht hat.

So entstand die Cover-Zeichnung: Gōshō Aoyama zeichnete den Entwurf!
Hier seht ihr Gōshō Aoyamas Skizze zum Cover! Daran haben sich Oda und Aoyama orientiert und die Charaktere gezeichnet. Es war das erste Mal, dass Aoyama Ruffy & Co. gezeichnet hat!

Aoyama: Auch ich verbinde unglückliche Erinnerungen mit dem Erscheinen von Kapitel 1. Eigentlich sollte in der Mitte des Covers ja ein großes Bild von Conan prangen. Aber bei der WM-Qualifikation schoss Gon Nakayama (Masashi Nakayama) dann ein sagenhaftes Tor, so dass das Cover an ihn ging … Conan bekam sein rechtmäßiges Cover also erst mit Kapitel 2 und die Serie ging mit einer persönlichen Tragödie für mich los. (lacht)

Rivalität hat Tradition beim Jump

Wie haben Sie beide sich gegenseitig wahrgenommen? Schließlich haben Sie damals jeder einen Superhit mit Ihren Serien gelandet.

Oda: Nach dem Ende von „Dragon Ball“ führten erst mal „Detektiv Conan“ und „The Kindaichi Case Files“ die Welt der Shōnen-Mangas an, wobei Conan stets den Sieg davontrug.

Aoyama: Ach … War dem so? (lacht)

Oda: Also zumindest war das unser Eindruck. Die Flaggschiff-Serie des Jump damals war „Rurouni Kenshin“ von Nobuhiro Watsuki, und ich war sein Assistent. Und ich sag es jetzt mal ganz unverblümt: Die Vorbilder, zu denen wir aufblickten, hatten die Welt der Mangas mit Action-Serien, in denen das Kämpfen im Vordergrund stand, angeführt, und aus diesem Stolz heraus herrschte bei uns die Meinung vor, dass Krimi-Mangas doch bitte nicht an der Spitze der Shōnen-Mangas stehen dürften. (lacht) Watsuki war damals sogar der Meinung, es wäre eine Schande, dass sein etwas unkonventionellerer Shōnen-Manga die Nummer-1-Serie des Jump sei. Während dieser Zeit sah ich „Detektiv Conan“ also als den großen Feind an und weigerte mich, auch nur ein Kapitel zu lesen. Mein einziger Gedanke war, den kleinen Besserwisser vom Thron zu stürzen … (lacht) Selbst, bis wir uns heute trafen, habe ich Sie noch als Feind und Rivalen gesehen, Aoyama! (lacht)

Aoyama: Nicht doch! Lassen Sie die Vergangenheit ruhen …! Aber ich verstehe Sie. (lacht)

Oda: Ich habe dennoch das Gefühl, das mit der Rivalität hätte irgendwie nur ich so gesehen … (lacht) Jetzt ziehen Sie doch schon übers Jump her! Irgendwas muss Ihnen doch an der Konkurrenz ein Dorn im Auge sein?

Aoyama: Nö. Also bei „The Kindaichi Case Files“ von Seimaru Amagi, Yōzaburō Kanari und Fumiya Satō, was ja ebenfalls eine Detektivgeschichte ist, packt mich schon der Ehrgeiz, nicht den Kürzeren zu ziehen, aber „ONE PIECE“ ist ja ein völlig anderes Genre.

Oda: Wir hatten eben stets das gesamte Spektrum der Mangas im Blick, und in den Bestsellerlisten stand „Detektiv Conan“ nun mal immer ganz oben. Aber diese Sichtweise war sicher meiner Stellung als Nachwuchs geschuldet. Wer ganz oben ist, blickt eben nicht nach unten.

Aoyama: Das sagen Sie jetzt zwar so, aber wenn ich mich recht entsinne, haben Sie mich doch ziemlich schnell überflügelt, oder nicht …? (lacht)

Oda: Tja, also damals lief ich schnell auf Hochtouren, da bekomme ich jetzt die zeitlichen Abläufe nicht mehr ganz hin. Sobald die Serie angelaufen ist, ist man so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass man kaum noch etwas anderes wahrnimmt.

Aoyama: Wohl wahr. Auch in meinem Fall hat das Ignorieren der Konkurrenz eher praktische Gründe. Ich stemme diesen Krimi-Manga schließlich allein. Ich denke mir die Fälle aus und zeichne die Geschichte. Ich hatte also nie wirklich Zeit, mir Gedanken zu den anderen Mangas da draußen zu machen.

Oda: Ja! Mit einer laufenden Serie hat man nur noch Augen dafür! Ich bewundere Sie jedenfalls für Ihr Durchhaltevermögen!

Sehen Sie beide in jüngeren Mangaka denn keine Rivalen?

Aoyama: Rivalen …? Ich finde, jeder soll sein Ding machen, und das ist auch gut so. (lacht)

Oda: Sie sind ja wirklich sehr tiefenentspannt. Seit wann haben Sie diese fast schon Zen-artige Gemütsverfassung?

Aoyama: Schon immer.

Oda: Im Ernst jetzt?! Waren selbst Ihre jungen Jahre nie von Konkurrenzdenken geprägt?

Aoyama: Nun, da „Detektiv Conan“ so gut ankam, gab es früher noch jede Menge andere Krimiserien im Sunday. Da dachte ich mir natürlich schon, „wäre ja noch schöner, wenn ich gegen diese Nachahmer abstinke!“, aber das war’s auch schon. Das mag jetzt überheblich rüberkommen, aber ich denke, Conan hatte einfach keine Konkurrenz. Natürlich gab es wie vorhin erwähnt von Anfang an „The Kindaichi Case Files“, aber die Serie folgt einem anderen Ansatz.

Eiichirō Odas erste Fassung von Zorro. Irgendwann fiel ihm auf, dass der Winkel falsch ist und Zorro so Tōru Amuro den Kopf absäbeln würde, was ihn die Zeichnung augenblicklich verwerfen ließ.

Oda: Verstehe. Als Rivalen sehen Sie also nur Krimi-Mangas an?

Aoyama: Ganz genau. Aber es gab nie besonders viele Kollegen, die Krimigeschichten zeichnen, also denke ich oft, das ist irgendwie mein ganz eigenes Ding. Daher auch meine Einstellung, jeder soll einfach sein Ding machen.

Oda: Also ich habe diesen Gemütszustand erst in den letzten paar Jahren erreicht. Bis dahin waren Ausgaben ohne „ONE PIECE“ nur schwer für mich zu ertragen, da ich wusste, ich würde die Fans enttäuschen. Ich fühlte mich also immer verantwortlich. Aber inzwischen gibt es viele junge Mangaka, die prächtig im Jump gedeihen und das Magazin auch ganz wunderbar ohne mich tragen, wenn ich mal pausiere. Also wiegt die Last auf meinen Schultern nicht mehr ganz so schwer, zumindest sehe ich das so. Daher zerbreche ich mir auch nicht mehr so sehr den Kopf über die Mangas anderer. Ich habe endlich die richtige Balance gefunden, mit der die Fans und auch ich zufrieden sein können.

„Allein mein Problem“, lautet meine Einstellung. (Oda)

Aoyama: Du meine Güte! Sie hätten sich viel früher schonen müssen!

Oda: Habe ich aber lange Zeit nicht. Warum eigentlich nicht? Vielleicht läuft ja beim Jump grundsätzlich was schief? (lacht) Man wird regelrecht zum Wettkampf getrieben. Zeichnet man Mist, wird man natürlich sofort abgesetzt. Ist das beim Sunday auch so?

Aoyama: Ja, das gibt sich nichts. Aber früher hat man den Autoren das Ranking verschwiegen. Bei den ersten zehn Kapiteln von Conan habe ich also vehement danach gefragt und mir heimlich Einblick verschafft.

Oda: Beim Jump zeigt man den Mangaka denke ich die Umfragen absichtlich, um die Rivalität untereinander zu schüren. Am Anfang von „ONE PIECE“ habe ich die Zahlen regelrecht verschlungen. Ich wollte einfach wissen, ob ich die Konkurrenz überlebe oder nicht.

„YAIBA“, die Serie vor „Detektiv Conan“, hat Ihnen mit den letzten Kapiteln den ersten Platz eingebracht, nicht wahr, Herr Aoyama?

Aoyama: Ja, genau! Ich war so aus dem Häuschen, endlich auf Platz 1 zu sein, dass ich zur Redaktion sagte, man möge mir die Auszeichnung doch bitte mit in den Sarg legen. Ich witzelte nämlich, dass ich demnächst sowieso an Überarbeitung sterben würde. (lacht)

Oda: Na bitte! Ihnen haben die Zahlen damals auch eine ganze Menge bedeutet! Also nehmen Sie Niederlagen oder Rückschläge durchaus mit?

Aoyama: Na klar. Aber „Detektiv Conan“ war von Anbeginn immer auf Platz 1, von daher … Aber bevor das jetzt wieder falsch rüberkommt, sollten wir das Thema wechseln. (lacht)

Oda: Da bin ich ganz bei Ihnen! (lacht)

Sie beide sind seit Langem die Aushängeschilder Ihrer jeweiligen Zeitschriften. Wie empfinden Sie den Druck diesbezüglich?

Aoyama: Druck? Welchen Druck? Ich spüre keinerlei Druck. (lacht)

Oda: Das ist bei mir genauso!

Aoyama: Ist doch klar! Also wenn, dann ist das das Problem von Shōgakukan, die mich die Serie bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag zeichnen lassen, und nicht meins! (lacht)

Oda: „Allein mein Problem“, lautet meine Einstellung. Auch als ich noch sehr verbissen war, habe ich „ONE PIECE“ immer nur als mein Problem angesehen – ich muss damit leben, wenn irgendwann die Popularität nachlässt oder die Serie aufhört.

Das ist nur schwer vorstellbar …

Aoyama: Gäbe es diesen beschriebenen äußeren Druck, könnte ich gar nicht zeichnen.

Oda: Also wenn man rational darüber nachdenkt, dann tragen wir beide wohl schon eine ziemlich große Verantwortung. Aber würde man sich das ständig vor Augen halten, wäre man vielleicht längst unter der Last zusammengebrochen.

Aoyama: Ja, da bin ich derselben Meinung.

Welchen Eindruck haben Sie vom Zeichenstil des jeweils anderen?

Oda: Aoyamas Stil hat Sex-Appeal! Schon damals, als ich nur die Zeichnungen kannte, empfand ich sie als höchst individuell. Nur wer einen individuellen und einprägsamen Zeichenstil hat, überlebt als Mangaka. Aber dann habe ich die Geschichten gelesen, und der Appeal geht weit über den bloßen Zeichenstil hinaus, Conan hat insgesamt etwas wunderbar Mysteriöses. Kein Wunder, dass Jugendliche, aber auch Erwachsene, Männer wie Frauen, sich von der Serie in den Bann gezogen fühlen. Da war mir klar, dass Conan ein gigantischer Erfolg werden würde.

Aoyama: Ich konnte zunächst gar nicht glauben, dass es keine Szene gibt, in der man Ruffy von der Gum-Gum-Frucht essen sieht. Hätte ich den Manga gezeichnet, wäre das in einem riesigen Panel zu sehen gewesen. (lacht) Auch bei „Detektiv Conan“ geht es um einen Jungen, der durch die Einnahme eines Gifts eine körperliche Metamorphose durchläuft, aber während ich das bildlich zeigte, wählte „ONE PIECE“ einen neuen, frischen Ansatz. Und dann gibt es doch die Fünf Weisen beim Reverie. Deren Design ist der Hammer! Solche Charaktere könnte ich gar nicht zeichnen.

Oda: Ich bin selbst ein bisschen stolz darauf, wie gut die mir schon in jungen Jahren geglückt sind. Ihren ersten Auftritt hatten sie ja schon vor einer ganzen Weile, aber das sind zum Beispiel Charaktere, auf die ich auch heute noch zurückblicke und mir denke, „das passt einfach, daran würde ich auch jetzt nichts ändern.“ Noch haben sie aber ihren wahren Wert nicht bewiesen, da kommt also noch was auf uns zu …

Team „Detektiv Conan“, Team „ONE PIECE“

In den TV-Serien gibt es einige Sprecher und Sprecherinnen, die in beiden Universen Charakteren ihre Stimmen leihen: Shinichi Kudo, Kaito Kid & Lysop = Kappei Yamaguchi / Shῡichi Akai & Shanks = Shῡichi Ikeda / Tōru Amuro & Sabo = Tōru Furuya / Mitsuhiko Tsuburaya & Chopper = Ikue Ōtani, uvm.

Aoyama: Das bleibt nicht aus bei Laufzeiten von einem Vierteljahrhundert.

Oda: Ich habe mir den neuen Conan-Film „Die Halloween-Braut“ im Kino angesehen und war baff, wie viele Bekannte darin vorkommen! So hat zum Beispiel Yuriko Yamaguchi, unsere Nico Robin, ihren Auftritt als „Christine Richard“ … Andersherum haben wiederum jede Menge Sprecher und Sprecherinnen aus „Detektiv Conan“ ein Gastspiel im „Dress Rosa“-Arc von „ONE PIECE“! Megumi Hayashibara zum Beispiel, Ai Haibaras Sprecherin, verkörpert bei uns Rebecca.

Aoyama: Tōru Furuya, unser Tōru Amuro, spielt auch in „ONE PIECE“ einen coolen Charakter, nämlich Sabo! Und Shῡichi Ikeda, der im kommenden One-Piece-Film „Red“ als Shanks zu hören sein wird, spricht bei uns den höchst beliebten Shῡichi Akai.

Oda: Im letzten Conan-Film hatte er allerdings keinen Auftritt, nicht wahr?

Aoyama: Stimmt, in „Die Halloween-Braut“ war er nicht am Start … hehehe.

Oda: Aber alle üblichen Verdächtigen aus „Detektiv Conan“ geben sich im neuesten Film ja regelrecht die Klinke in die Hand. In „ONE PIECE“ teilen sich die Charaktere oft auf und sehen sich erst später wieder, so dass selbst Haupt- und Nebencharaktere schon mal einige Dutzend Folgen aussitzen. „Hallo Sanji! Nach drei Jahren auch mal wieder bei der Nachvertonung?“ sind Begrüßungen, die es bei uns öfter im Synchronstudio zu hören gibt! (lacht)

Aoyama: Akai hatte nach seinem Abgang bis zu seiner Rückkehr auch eine unglaublich lange Pause von sieben Jahren. Eigentlich wollte ich das Ganze ja schon nach zwei Jahren auflösen, so ungeduldig wurde ich. Und Vermouth hatte neulich in der TV-Serie ihren ersten Auftritt seit fünf Jahren!

Oda: Niemand konnte damals ahnen, dass die TV-Serien so lange laufen würden, und die Synchronsprecher werden natürlich auch nicht jünger. Neulich zeigte sich Mayumi Tanaka mit ihren 67 Jahren ganz besorgt, was denn aus Monkey D. Ruffy werden solle, wenn sie eines Tages nicht mehr ist, worauf die 85-jährige Masako Nozawa trocken meinte, dann würde eben sie die Rolle übernehmen. (lacht) Ich bin jedenfalls froh, dass sich alle noch bester Gesundheit erfreuen! Kommunizieren Sie eigentlich oft mit Ihren Synchronsprechern, Aoyama?

Aoyama: Vor Corona haben wir immer den Abschluss der Tonaufnahmen für die Filme gefeiert, dabei ergaben sich stets tolle Gespräche. Und früher konnte man vom Wohnzimmer meines Hauses immer saisonale Großfeuerwerke sehen. Dazu habe ich die Sprecher oft zu Dinnerpartys eingeladen. Das war immer ein Riesenspaß, aber auch jede Menge Arbeit! (lacht) Sie laden Ihre Sprecher immer noch regelmäßig ein, nicht wahr, Oda?

Oda: Ja, aber die Arbeit überlasse ich schamlos meinen Gästen. „Kommt alle zu mir und lasst uns eine Tako-yaki-Party machen! Backen müsst ihr euch die Dinger aber schon selbst!“ So spare ich mir jegliche Vorbereitung – clever, oder? (lacht)

Herr Oda, bei einem früheren Interview haben Sie gesagt, dass es Ihnen Freude bereitet, wenn alle Beteiligten an der Fernsehserie sich gut verstehen. Man gewinnt bei Ihnen leicht den Eindruck, dass Sie bestens mit dem TV-Produktionsteam und den Synchronsprechern auskommen.

Oda: Ja, das war schon von Anfang an so. Und seit dem Startschuss der TV-Serie ist bereits eine halbe Ewigkeit vergangen. Das schweißt zusammen und es ist fast so, als sei man mit lieben Verwandten zusammen. Von vielen kenne ich auch die Kinder bereits von klein auf, und ich treffe sie gern zusammen mit ihren Familien.

Aoyama: So weit geht es bei mir zwar nicht, aber es kommt oft vor, dass ich bestimmte Sprecher für Charaktere vorschlage. So war es zum Beispiel meine Idee, neulich Koichi Yamadera auf Tsutomu Akais Rolle in der Serie zu besetzen. Und oft höre ich auch die Stimme und passe dann den Charakter im Manga an deren Stimmung an.

Oda: Das kenne ich. So habe ich Chopper zu einer Art Maskottchen der Serie gemacht, als ich seine Stimme gehört hatte. Eigentlich bin ich ja kein Freund von Maskottchen, die sich beim Publikum anbiedern, aber Ikue Ōtani spricht ihn einfach so süß, dass ich nicht widerstehen konnte. (lacht)

Aoyama: Ja, Ōtani ist schon eine Schelmin! Bei uns spricht sie ja Mitsuhiko, und das so zauberhaft, dass ich ihn seitdem viel niedlicher zeichne.

Oda: Bei „Detektiv Conan“ geht das Ganze ja so weit, dass einige Sprecher und Charaktere sogar dieselben Namen haben. Man denke da nur an Takagi oder Furuya.

Aoyama: Wataru Takagi war anfangs noch namenlos, aber als er dann in der TV-Serie auftauchte, sagte sein Sprecher plötzlich, „nennt mich Takagi“ und der Fall war klar. Inspektor Takagi war geboren, und so muss sein Sprecher jetzt damit leben, auch im Manga als Wataru Takagi verewigt zu sein. (lacht) Und was Tōru Furuya angeht: Der hat ja in „Mobile Suit Gundam“ Ray Amuro gesprochen, so dass ich seinem Charakter in „Detektiv Conan“ als Hommage zwei Namen verpasst habe, Rei Furuya und Tōru Amuro – das soll zum einen alle Gundam-Fans erfreuen und zum anderen den Sprecher ehren. Apropos Gundam, haben Sie das eigentlich auch geschaut, Oda?

Oda: Und ob, ich liebe Gundam. Aber als die Serie lief, war ich noch klein, vermutlich habe ich also einen anderen Boom als Sie miterlebt.

Aoyama: Verstehe. Also sind Sie nicht mit „First Gundam“ eingestiegen, wie die Serie von 1979 auch gern bezeichnet wird?

Oda: Oh doch. Den ersten Boom gab es nach der Erstausstrahlung mit der Einführung der Plastikmodelle in den frühen 80er-Jahren, und während meiner späteren Kindheit dann folgte ein zweiter Boom, als die Serie im TV wiederholt wurde – da war sie dann ein echter Renner.

Druck? Welchen Druck? Ich spüre keinerlei Druck (lacht). (Aoyama)

Wir blicken auch hinter die Entstehungsgeschichte einer ikonischen Szene und die Idee hinter Gear 5!

In welchem Umfang sind Sie beide normalerweise in die Entstehung der Filme eingebunden?

Aoyama: Bei den Filmen wirke ich von Anfang an intensiv mit. Ich nehme Einfluss auf Szenario und Skript und werde dafür oft argwöhnisch beäugt. (lacht)

Oda: „Detektiv Conan“ ist ja jedes Jahr mit einem neuen Film am Start, nicht wahr? Conans Manga-Vorlage ist stets in einzelne abgeschlossene Fälle untergliedert, das bietet sich also vom Storytelling regelrecht fürs Filmformat an. Bei „ONE PIECE“ hängt aber immer alles zusammen. Und wenn ich mich auf die aktuelle Geschichte des Mangas konzentriere, hasse ich es, mich für einen Film parallel noch mit einer ganz anderen Geschichte beschäftigen zu müssen. Vielleicht ist mein Gehirn aber auch nicht so geeignet für Multitasking wie Ihres, Aoyama!

Aoyama: Ein Conan-Fall hat in der Regel drei bis vier, in Ausnahmefällen vielleicht sechs Kapitel. Da fällt es auch leicht, sich die Geschichte für einen Film auszudenken. In „ONE PIECE“ dauert „ein Fall“ aber immer ewig. (lacht) Ich denke, das macht es schwieriger, Filme aus dem Boden zu stampfen? Obwohl es darum geht, den legendären Schatz, das „One Piece“ zu finden, muss die Crew für die Filme regelmäßig Abstecher auf andere Inseln machen.

Oda: Bei uns kommen auch ständig Neuzugänge an Bord. Wenn es dann irgendeinen Zwischenfall gibt, wirkt sich dieser auch auf immer mehr Personen aus, was die Geschichte immer mehr in die Länge zieht. Stellen Sie sich vor, die „Detective Boys“ würden regelmäßig neue Mitglieder bekommen – das würde Sie irgendwann wohl etwas ins Schwitzen bringen?

Aoyama: Das wäre mein schlimmster Albtraum … (lacht) Ich werde mich hüten und die Detective Boys mit Neuzugängen versehen!

Sehen Sie sich eigentlich die Filme aus dem jeweils anderen Universum an?

Oda: Also „Die Halloween-Braut“ dieses Jahr fand ich richtig cool! Ich habe gehört, dass „Detektiv Conan“ in letzter Zeit immer mehr weibliche Fans gewinnt, was mich zunächst etwas verwundert hat. Ich habe Conan immer als Manga gesehen, an dem hauptsächlich Jungs Freude haben, weil ihnen das Lösen der Krimifälle so viel Spaß macht. Aber als ich den Film gesehen habe, wurde mir klar, was es damit auf sich hat: Die Typen von der Sicherheitspolizei sind allesamt echt coole Socken und sehen noch dazu verdammt gut aus!

Aoyama: Von den One-Piece-Filmen mag ich „Gold“ am liebsten. Den fand ich klasse. Ich habe nämlich eine Schwäche für schillernde Orte wie Las Vegas. (lacht) Eine Kreuzfahrt auf dem Kasinoschiff Gran Tesoro wäre genau mein Ding!

Oda: Wirklich?! Danke, das freut mich zu hören!

Aoyama: Wenn man eine Gemeinsamkeit der One-Piece- und Detektiv-Conan-Filme aufzählen müsste, dann wohl die, dass die Filme immer mit einem Paukenschlag enden.

Oda: Was ein echter Shōnen-Manga sein will, muss am Ende einfach mit einem Knall abschließen, oder?

Aoyama: Ja, aber damit meine ich gar nicht die Geschichte an sich. Bei „Detektiv Conan“ endet es oft so, dass Conan jemandem seinen aufblasbaren Fußball an den Kopf knallt. Und bei „ONE PIECE“ pumpt Ruffy seine Faust oder gleich seinen ganzen Körper auf und setzt einen Paukenschlag. So was sorgt immer für große Akzente am Schluss!

Oda: Ach, das meinen Sie! (lacht) Ja, je größer und aufgeblasener ein Held, desto mehr verkörpert er auch den idealen Streiter für die Gerechtigkeit. Schließlich sind wir mit Ultraman aufgewachsen.

Aoyama: Stammt die Idee mit dem Autorennen in „Gold“, bei dem die Vehikel von Schildkröten angetrieben werden, eigentlich auch von Ihnen?

Oda: Die Grundidee hat der Drehbuchautor entwickelt, und ich habe dann das Skript gecheckt und korrigiert. Eigentlich ja ein No-Go, da ein Film Sache des Regisseurs ist, aber am Ende des Tages muss und will ja ich mit meinem Namen für das Endprodukt einstehen. In Ihrem Fall zeichnen Sie sogar Schlüsselbilder einiger Animationssequenzen, Aoyama?

Die Eröffnungsszene des Kapitels „Black Bunny’s Club“. In diesem Flashforward stehen sich beide das erste Mal demaskiert gegenüber.

Aoyama: Ja, das handhabe ich bereits seit dem allerersten Film, „Der tickende Wolkenkratzer“, so. Und es werden mit jedem Film mehr. Dieses Jahr habe ich circa 20 gezeichnet.

Oda: Aber die Fans wissen das zu schätzen. Diese Schlüsselbilder tragen eben Ihre unverkennbare Handschrift.

Aoyama: Warum zeichnen Sie denn keine Schlüsselbilder?

Oda: Würde ich mich zu sehr in die Filme einbringen, käme ich mit dem Manga nicht mehr voran. Aber mir ist natürlich bewusst, dass man spätestens alle drei Jahre mit einem neuen Film für Aufsehen und damit auch neue Fans sorgen muss. Doch das ist leichter gesagt als getan! Wenn ich was mache, dann will ich es auch richtig machen. Und eben weil ich diese Seite an mir kenne, war ich von den Filmen zu Anfang überhaupt nicht begeistert. (lacht) Mittlerweile mische ich selbst beim Marketing mit. Ich stelle sogar Recherchen zur Lautstärke und den Vorführzeiten in den Kinos an! Und ich überwache das Layout der Kinoplakate.

Aoyama: Klingt so, als würden Sie die Filme lieben. (lacht)

Oda: Tja, aber dem Nachwuchs gegenüber habe ich ein echt schlechtes Gewissen. Ich habe beim Jump nämlich den fragwürdigen Präzedenzfall gesetzt, dass Filme erfolgreich sind, wenn der Originalautor involviert ist, so dass dies jetzt leider gang und gäbe ist. Die jungen Mangaka scheinen das aber regelrecht zu genießen.

Aoyama: Ich finde da gar nichts fragwürdig daran! Natürlich macht das den allen Spaß!

Wie denken Sie über Ihre Hauptcharaktere?

Aoyama: Conan ist in meinen Augen eine Art Organisator für alle.

Oda: Ruffy ist für mich der am leichtesten zu zeichnende Charakter. Ich wusste nämlich von Anfang an, dass mich niemand so lange begleiten würde wie er.

Und welchem Charakter denken Sie, können nur Sie Leben einhauchen?

Oda: Ebenfalls Ruffy. Er befand sich bereits in der Obhut vieler verschiedener Drehbuchautoren, aber wenn ich am Schluss nicht über seine Dialogzeilen gehe, ist es einfach nicht der Ruffy, den alle erwarten. Das kennen Sie doch bestimmt auch, Aoyama? Diesen einen Charakter, dem außer Ihnen sonst niemand die richtigen Worte in den Mund legen kann?

Aoyama: Ganz klar Gin! Alle wollen ihm immer gleich Zeilen wie „Ich bring euch alle um!“ oder so aufdrücken, aber da muss ich einschreiten: „Leute, so was würde Gin niemals sagen!“ (lacht)

Ruffy schaltet einen Gang hoch – Gear 5! Mit den herauspoppenden Augen wirkt die Szene geradezu Cartoon-ähnlich.

Oda: Ich verstehe Sie nur zu gut. Die Charaktere, die man in den Filmen immer überarbeiten muss, sind die, die man sonst niemandem anvertrauen kann. Das ist schon eine ganz merkwürdige Wechselbeziehung. Ein Fan erkennt sofort, wenn ein Detail nicht stimmt. Aber geht es ans Eingemachte und ein Drehbuch muss geschrieben werden, bekommt der Charakter oft ganz ungewollt eine andere Richtung.

Aoyama: Also Gin korrigiere ich immer, das geht nicht anders. Seit einiger Zeit geben mir die Autoren die Drehbücher bereits im vollen Bewusstsein in die Hand, dass ich eh alles ändern werde … (lacht) Oft steht dann da einfach „Bitte übernehmen Sie, Herr Aoyama!“ als Text! Ich meine, was soll ich dazu noch sagen?! (lacht)

Oda: Und wenn Sie dann nachhelfen und das Ganze deswegen ein Erfolg wird, werden solche Anmerkungen bestimmt nicht weniger, was?

Aoyama: Ganz im Gegenteil, sie nehmen Überhand! (lacht) Aber ehrlich gesagt freut mich das. Ist doch schön, wenn man gebraucht wird!

Wendepunkte in „Detektiv Conan“ und „ONE PIECE“

Beide Serien haben die magische Marke von 100 Bänden erreicht. Wenn Sie heute auf Ihre Gesamtwerke zurückblicken und eine Szene herauspicken müssten, die einen persönlichen Wendepunkt markiert, welche wäre das?

Aoyama: Eine schwierige Frage. Aber wenn es nur eine Szene sein soll, dann würde ich den Anfang des Kapitels wählen, das ich nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus gezeichnet habe, nachdem ich für längere Zeit krankheitsbedingt pausieren musste. Akai und Amuro halten sich in einem Flashforward gegenseitig eine Pistole an den Kopf, die Szene meine ich. („Black Bunny’s Club“, Band 95)

Oda: Also das ist mal definitiv eine coole Szene! Wann war das?

Aoyama: Vor vier Jahren. Ich musste wie gesagt für einen längeren Zeitraum aussetzen und war der Meinung, meinen Wiedereinstand müsste ich mit einem echten Hammer begehen, damit Conan nicht an Fahrt verliert. Bis dahin hatte ich eigentlich nie bewusst auf einen bestimmten Effekt abgezielt, wenn ich ein neues Kapitel begonnen habe.

Oda: Ähnlich wie bei Ihnen hat ein Wendepunkt für mich auch erst in der jüngsten Vergangenheit eingesetzt. Die Rede ist von Gear 5, Ruffys neuester Teufelskraft, die ich schon seit Ewigkeiten einführen wollte.

Beachtlich, dass Sie beide ein Kapitel aus der relativ jungen Vergangenheit ausgewählt haben. Im Falle von „ONE PIECE“ tatsächlich erst Kapitel 1044, in dem wir erfahren, was es wirklich mit Ruffys erwachter Teufelsfrucht auf sich hat – dank ihr schwingt er sich zu neuen Höhen auf und schaltet in den fünften Gang, was einen immensen Power-Schub mit sich bringt.

Oda: Ich wollte das Ganze so überzogen wie möglich inszenieren und war sogar auf einen Backlash gefasst. Hauptsache, die Kampfszenen werden noch extremer! Bereits zu meiner Assistentenzeit unterhielt ich mich mit Kollegen darüber, dass in Mangas immer weniger grafische Symbole und Sinnbilder verwendet werden. Ich meine damit Sachen wie Glühbirnen über Köpfen, wenn Charakteren eine Idee kommt, oder Beinen, die wie Autoreifen durchdrehen, wenn sie besonders schnell laufen.

Aoyama: Ja. Oder Augen, die aus den Augenhöhlen herauspoppen, wenn jemand etwas Unglaubliches sieht.

Oda: Ich habe das immer geliebt, aber irgendwie scheint das aus der Mode gekommen zu sein. Unsere Wegbereiter haben sich in der Hinsicht so viel einfallen lassen und liefern uns tolle Vorlagen, aber niemand greift sie mehr auf. Mangas, in denen es vorrangig um Kämpfe geht, haben die Tendenz, immer ernster zu werden, wenn man den Erwartungen der Fans über die Jahre gerecht werden will. Das mochte ich noch nie. Also habe ich beschlossen, dass ich in der Schlussphase nicht bei einem bierernsten Manga enden will, sondern noch mal so richtig auf den Putz hauen möchte. Und das scheint mir jetzt endlich zu gelingen. Wenn ich also Szenen mit Ruffy in Gear 5 zeichne, komme ich aus dem Grinsen gar nicht heraus.

Aoyama: (sieht sich das Bild zu Gear 5 an) Oho! Ist ja irre! Das Design ist spitze, wirklich großartig. So ein Gesicht muss man erst mal hinbekommen.

Oda: Vielen Dank. Stellen Sie sich das Ganze einfach so vor, als würde man plötzlich „Tom & Jerry“ zeichnen.

Aoyama: Ein treffender Vergleich. „Tom & Jerry“ habe ich damals geliebt. Wobei ich es dem fiesen Jerry immer übel genommen habe, wie er mit Tom umgesprungen ist. (lacht)

Oda: Ist das Ihr Ernst? Das ist ja unerhört! Ich war stets auf Jerrys Seite!

Aoyama: Echt jetzt? Tom hat sich immer redlich Mühe gegeben, während Jerry ein durchtriebenes kleines Kerlchen war. Ich gestehe, ich habe Jerry gehasst! Aber wenn Sie mich fragen, ob Conan eher Tom oder Jerry ähnelt, dann kommt er viel eher nach Jerry. (lacht)

Oda: Als ich dann endlich Gear 5 gezeichnet habe, fiel mir schnell auf, dass das gar nicht so leicht ist. Bei „Tom & Jerry“ funktioniert dieser Stil so gut, weil sich beide ergänzen und durch ihre gegenseitige Überzogenheit das Ganze zum Leben erwecken. Aber wenn in den Kämpfen von „ONE PIECE“ nur Ruffy so dermaßen drüber ist, der Ausdruck seiner Gegner aber relativ normal bleibt, entsteht ein Ungleichgewicht. Das hat mir am Anfang zu schaffen gemacht. Aber ich habe das Gefühl, es jetzt im Griff und alles rausgelassen zu haben. Finden Sie nicht auch, dass es immer schwieriger wird, Action-Szenen zu zeichnen, je älter man wird?

Aoyama: In „Detektiv Conan“ gibt es ja nicht so viel Action, da gehe ich also jedes Mal recht beschwingt heran. Meistens holt Conan seinen aufblasbaren Fußball heraus und schießt jemanden damit ab – schon ist es auch schon wieder vorbei mit der Action. Aber als ich damals „YAIBA“ gezeichnet habe, also das hat mich wirklich geschlaucht. Ich meine, die japanische Inselkette IST ein Drache! Sowohl die Assistenten als auch ich hatten alle Hände voll zu tun. Aber Action-Szenen zu zeichnen ist schon aufregend!

(Weiter geht’s in Teil 2! ConanNews.org stellt ihn euch hier bereit.)

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5 Gedanken zu „Das Interview mit Gosho Aoyama & Eiichiro Oda (Teil 1)

  • 31. Juli 2022 um 12:55
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    Sehr schönes Interview, danke für die Übersetzung vorallem! Bin auf Teil 2 gespannt!

  • 31. Juli 2022 um 17:34
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    Einfach großartig .vielen Dank für diese Mühe dieses Interview zu übersetzen.

    Es ist Wahnsinn was für eine sympathische Wärme von diesem Interview ausgeht.

  • 1. August 2022 um 13:28
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    Sehr schönes Interview! Beide sind sehr sympatisch.

  • 9. August 2022 um 22:02
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    Wahnsinn, dass ihr das ermöglicht habt!!! Vielen lieben Dank für eure Arbeit!
    Habe jetzt das zweite Mal schon alle Podcasts gehört (immer beim mit dem Hund gehen), die es auf Spotify gibt. Ihr seid klasse! 🙂

  • 15. August 2022 um 15:56
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    Finde dieses Interview sehr interessant, mal andere Aspekte zu sehen, wie die beiden es damals empfunden haben und das Gosho anscheinend die Ruhe weg hat. 😀

    Danke das ihr dies ermöglicht habt, bin gespannt wie der zweite Teil werden wird und was für Überraschungen noch auf uns zukommen :3

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